UFC 259 wartet mit der wohl bestbesetzten Fightcard des Jahres auf. Neben drei Titelkämpfen mit vier Champions erwartet euch ein Duell zweier gefährlicher Knockouter: Thiago Santos gegen den Österreicher Aleksandar Rakic.
Seit Jahren fragen sich Fans, wer wohl der erste UFC-Champion aus dem deutschsprachigen Raum wird. Der Wiener Aleksandar Rakic hat gute Chancen. Bevor er um den UFC-Titel kämpfen darf, muss er jedoch erst an einem Mann vorbei, der den langjährigen König des Halbschwergewichts, Jon Jones, um ein Haar entthront hätte: der brasilianische Vorschlaghammer Thiago Santos.
Rakic und Santos sind extrem athletische, explosive Kickboxer und sammelten gemeinsam 24 Knockouts. Beide verfügen über absolut brutale Kicks, kämpfen am liebsten im Vorwärtsgang und würden sich mit einem spektakulären Sieg in Schlagdistanz zum Champion bringen – egal ob der nach UFC 259 nun Jan Blachowicz oder Israel Adesanya heißt.
Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden sind die schweren Knieverletzungen, mit denen sie in der Vergangenheit zu kämpfen hatten. Rakic riss sich vor seinem Sprung in die UFC innerhalb weniger Monate zweimal Kreuzband und Meniskus des linken Knies. Auch Santos erlitt bereits zwei Knieverletzungen, zuletzt während des Titelkampfes gegen Jones 2019 einen Kreuzband-, Innenband- und Meniskusriss, ebenfalls im linken Bein. Dennoch schaffte er es über die komplette Distanz und überzeugte sogar einen von drei Punktrichtern.
Nach eineinhalb Jahren Pause kehrte er vergangenen Sommer gegen Glover Teixeira zurück und musste prompt in einem Rear-Naked Choke abklopfen, während Rakic nach einer zuletzt starken Vorstellung gegen Anthony Smith mit breiter Brust ins Octagon steigen dürfte. Besonders interessant: Santos und Rakic kennen sich, haben 2018 gemeinsam ein Trainingslager in den USA absolviert.
Sehen wir uns vor diesem wegweisenden Duell im Halbschwergewicht die Stärken und Schwächen beider Kämpfer einmal genauer an.
Aleksandar Rakic
Bilanz: 13-2 (9 KO, 1 SUB)
UFC-Rangliste: #4
Alter: 29
Größe: 1,96 Meter
Reichweite: 1,98 Meter
Herkunft: Wien, Österreich
Rakic ist ein absolutes Naturtalent. Schon als Kickboxer verdiente er sich den Kampfnamen „Rocket“ mit seinem aggressiven Stil und dem ständigen Drang zum Finish. Seit er sein MMA-Debüt 2011 durch Guillotine verloren hatte, gewann er 13 von 14 Kämpfen, fünf davon in der UFC. Die letzten beiden Duelle bestritt der Österreicher gegen ehemalige Titelherausforderer: Volkan Oezdemir unterlag er umstritten und geteilt nach Punkten, Anthony Smith dominierte er über drei Runden klar. Mit Santos wartet nun der dritte frühere Contender in Folge auf den Wiener mit serbischen Wurzeln.
Stärken
Aggressivität & Präzision
Rakic ist vor allem als überragender Striker bekannt. Dem Österreicher gelingt es, aggressives Pressure-Fighting mit sauberer Technik, extremer Präzision und einem hohen Fight-IQ zu verbinden. Er macht konstant Druck, nutzt dabei seine Reichweite und hervorragende Beinarbeit zum Distanz-Management und landet akkurate Treffer – auch gern als Konter geschlagen, wie er gegen Oezdemir gezeigt hat. Wenn er trifft, bleibt er zudem nicht stehen, um sein Werk zu bestaunen, sondern bewegt den Kopf und schafft, wenn nötig, sofort wieder Raum zwischen sich und dem Gegner.
Kicks
Die wohl gefährlichste Waffe in Rakics Arsenal sind ganz klar seine Kicks. Zum einen natürlich die brachialen Highkicks, die er häufig mit 1-2-Kombinationen vorbereitet und mit denen er in seiner MMA-Karriere schon zwei Kämpfe beendet hat, unter anderem gegen Jimi Manuwa, den er nach nur 42 Sekunden mit einem der heftigsten Headkick-KOs der UFC-Geschichte umlegen konnte. Aber auch auf seine Lowkicks muss Santos aufpassen. Mit denen hatte Rakic vergangenen Sommer den Grundstein für den ringerlastigen Punktsieg über Anthony Smith gelegt, der noch Tage danach auf Krücken unterwegs war.
Offensives Grappling
Viele Beobachter haben sich gewundert, dass Rakic gegen Smith so viel gerungen hat. Es schien, als habe der Österreicher sich, den Fans und natürlich auch Smith, der ihn vorher als eindimensionalen Striker bezeichnet hatte, etwas beweisen wollen!
Dabei weiß man aus dem Umfeld von Rakic, dass er schon seit Beginn seiner MMA-Karriere ein unterschätzter Ringer und aggressiver Grappler ist. Der Kampf gegen Smith hat gezeigt, dass er sich zutraut, diese ringerischen Fähigkeiten auch unter Wettkampfbedingungen gegen Top-10-Gegner einzusetzen. Der Erfolg dürfte ihn zudem bestärkt haben, diese Facette seines Games noch weiter auszubauen.
Rakic shootet gute Double-Legs, am liebsten am Käfig, setzt aber vor allem auf Single-Leg- und Trip-Takedowns, die er, wenn nötig, auch in Serie aneinanderreiht. Und, auch wenn das in diesem Kampf vermutlich keine so große Rolle spielen wird: Auch seine Takedown-Defense ist super. Man darf gespannt, wie sehr Rakic sich seit seinem letzten Auftritt im August ringerisch noch weiterentwickelt hat – denn Takedowns könnten für ihn gegen den kaltblütigen Puncher Santos eine enorm wichtige Strategie sein.
Schwächen
Lowkick-Verteidigung
So gefährlich und effektiv Rakics Striking in der Offensive auch ist, defensiv zeigte der Österreicher in der Vergangenheit einige Lücken, die ihm gegen Santos zum Verhängnis werden könnten. Beispielhaft dafür stehen seine Lowkicks: Rakic landet zwar verheerende Tritte zum gegnerischen Ober- und Unterschenkel, blockt selbst aber kaum welche. Gegen Oezdemir landete er 10 Legkicks, kassierte dafür aber auch 21 Stück. Die hat er ohne sichtbare Probleme weggesteckt, Santos tritt aber nochmal um einiges härter.
Konteranfälligkeit
Rakics Beinarbeit und Meidbewegungen sind super, allerdings lässt er während eigener Attacken häufig die Deckung sinken und sein Kinn offen für Konter. Gerade während längerer Kombinationen könnte das gefährlich werden, denn Santos besitzt einen betonharten linken Haken und schlägt auch im Rückwärtsgang extrem hart.
Rückwärtsbewegung
Stichwort: Rückwärtsgang. Ich habe Rakics Beinarbeit nun mehrfach gelobt, allerdings bewegt er sich in der Rückwärtsbewegung häufig zu geradlinig. Das ist gefährlich gegen einen Kämpfer wie Santos, der wie ein Bulldozer nach vorn drückt. Um nicht irgendwann am Zaun gestellt und mit Bomben eingedeckt zu werden, muss Rakic sich deshalb auch zur Seite und nicht nur gerade rückwärts bewegen.
Thiago Santos
Bilanz: 21-8 (15 KO, 1 SUB)
UFC-Rangliste: #2
Alter: 37
Größe: 1,88 Meter
Reichweite: 1,93 Meter
Herkunft: Rio de Janeiro, Brasilien
Thiago Santos‘ Resümee in der 93-Kilo-Klasse ist absolut beeindruckend: Nach drei KO-Siegen, unter anderem gegen den jetzigen Champion Jan Blachowicz, verlor er nur knapp gegen den damals amtierenden Titelträger Jon Jones – und das mit zwei kaputten Beinen. Sein Comeback im November ging dann allerdings ebenfalls verloren und nun steht die Frage im Raum, ob „Marreta“ bei UFC 259 Hammer oder Nagel sein wird.
Stärken
KO-Power
Santos‘ größte Stärke – was soll ich sagen? – ist natürlich seine KO-Power. Wie Rakic kann auch er treten wie ein Pferd, seine gefährlichsten Waffen aber sind die Fäuste. Der Brasilianer schlägt nämlich nicht nur hart, sondern auch schnell, behält selbst in wildesten Schlagabtauschen eiskalt die Übersicht und besitzt den dazu passenden Killerinstinkt, wie 15 Knockouts in 21 Siegen eindrucksvoll beweisen. Besonders aufpassen muss Rakic auf die Linke von Santos, die sowohl zum Körper als auch zum Kopf trifft und vernichtende Wirkung entfaltet.
Kondition & Beweglichkeit
Im Gegensatz zu vielen anderen Knockout-Spezialisten in den höheren Gewichtsklassen ist Santos kein kruder Brawler, sondern erstaunlich beweglich. Seine Beinarbeit ist top, er wechselt spielend die Auslage und seine Bewegungen sind oft unorthodox und schwer ausrechenbar, wenn die Capoeira-Wurzeln des Brasilianers mal wieder durchscheinen. Zudem verfügt er über eine ganz hervorragende Kondition. Wie der Kampf gegen Jones gezeigt hat, kann Santos sein mörderisches Tempo – wenn nötig – auch über volle fünf Runden gehen.
Toughness
Dass Santos körperlich zu den zähesten Kämpfern des Planeten gehört, sollte spätestens seit dem Jones-Kampf jedem klar sein. Doch um gegen den besten Halbschwergewichtler der Welt praktisch ohne funktionierende Knie fünf Runden durchzustehen – und vielleicht zu gewinnen? – braucht es nicht nur physische, sondern auch mentale Toughness. Ich habe Santos 2019 während seiner Verletzungspause im Performance Institute in Las Vegas kennengelernt. Wenn er dort nicht mit Reha beschäftigt war, ging er nicht etwa zurück ins Hotel, sondern saß stundenlang am Mattenrand und sah den anderen beim Training zu – jeden Tag den ganzen Tag. Santos besitzt diesen stoischen Fokus, den nur Menschen haben, die nichts, aber auch gar nichts von ihrem Ziel abbringen kann.
Ground and Pound
Genau wie Rakic ist Santos als Striker berühmt und berüchtigt. Genau wie Rakic hat er sich über die Jahre aber auch ganz passable Skills als Ringer draufgeschafft. So holt er ab und an selbst Takedowns, seine Transitions sind solide und das Ground and Pound wird Santos‘ Kampfnamen „Vorschlaghammer“ voll und ganz gerecht. Santos in Top Control ist mindestens genauso gefährlich wie Santos im Stand.
Schwächen
Größe
Thiago Santos war schon als Mittelgewicht ein KO-gefährlicher Puncher, seit dem Wechsel ins Halbschwergewicht 2018 ist er jedoch auch ein ernstzunehmender Contender geworden. Sein einziges Problem: Er gehört zu den kleineren Kämpfern der Gewichtsklasse. Zwar ist er mit 1,88 Meter genauso groß wie Champion Blachowicz oder Nummer eins Glover Teixeira und schlägt zu wie ein Schwergewicht, hat aber bis hinunter ins Weltergewicht gekämpft und könnte gegen größere und athletische Halbschwergewichte wie Rakic in Clinchsituationen und Scrambles vielleicht Nachteile haben.
Alter
Klar: Gerade in den schwereren Gewichtsklassen können Kämpfer auch jenseits der 35 noch starke Leistungen bringen. Daniel Cormier beispielsweise hat den Halschwergewichtstitel mit 36 geholt, den Gürtel im Schwergewicht erst mit 39. Trotzdem kommt Santos mit 37 Jahren, nach zwei Knieverletzungen, 1,5 Jahren Pause und einer vorzeitigen Niederlage im Rücken nicht gerade mit Momentum in das Duell gegen den acht Jahre jüngeren Rakic.
Grappling-Verteidigung
Santos ist oftmals zu übermütig mit seiner Offensive und dadurch offen für Takedowns. Teixeira gelangen zuletzt vier von sieben Stück. Am Boden ist er – trotz BJJ-Schwarzgurt – schwach. Seine Guard wird zu leicht passiert und nach Takedowns kommt bis auf einen ersten Scramble-Versuch häufig nicht mehr viel. Stattdessen liegt er auf dem Rücken und warten auf den Standup. Eine solche Strategie wäre gegen Rakic fatal.
Fazit
Auf den ersten Blick ist Santos gegen Rakic der ideale Opener für eine UFC-Main-Card: Zwei KO-gefährliche Kickboxer, die es so richtig krachen lassen. Bei genauerem Hinsehen fällt allerdings auf, dass Rakic stilistisch ein Alptraum für Santos sein kann – wenn er es clever anstellt.
Rakic muss seine Größe und Power nutzen, um Schlagabtausche durch den Clinch zu unterbinden, immer wieder Treffer von draußen setzen, sich viel zur Seite bewegen und – sobald die Lücke da ist – den Takedown suchen und den Kampf am Boden kontrollieren oder sogar beenden.
Santos muss Rakic von Beginn an in den Rückwärtsgang zwingen, ihn immer wieder stellen, in Schlagabtausche verwickeln, wo er extrem gelassen bleibt und viel mit Lowkicks und seinem harten linken Haken arbeiten. Dabei muss er sich vor Rakics Lowkicks und vor allem dessen Takedowns in Acht nehmen, um nicht runtergenommen zu werden. Schafft er es, den Kampf im Stand zu halten, kann er es dem Österreicher so richtig schwer machen.
UFC 259 mit drei Titelkämpfen, vier Champions und dem Fight zwischen Thiago Santos und Aleksandar Rakic seht ihr in der Nacht auf den 7. März live auf DAZN, einen Link zum kostenlosen Probemonat findet ihr unten in der Beschreibung. Fans aus der Schweiz sehen den Event im PPV auf XYZSports.tv.